Gruselgeschichten

Sie dürfen sich auch noch nach Halloween gruseln. Hier eine Kurzgeschichte aus unserem Gemeinschaftsprojekt.

LICHT AUS!

von Jasmin Fürbach, BA, BA

Sie liegt im Bett und lauscht. Aus dem Zimmer nebenan hört sie das Schnarchen ihres Vaters. Die Türe zu ihrem Zimmer ist einen Spalt breit geöffnet. Mit jedem vorbeifahrenden Auto wird der Raum in schlieriges Licht getaucht. Sie hat die Decke bis an ihr Kinn gezogen, versteckt sich darunter, als böte sie Schutz.

Ein Knarren. Ihr Puls hämmert in ihren Ohren. Da hört sie etwas Anderes, etwas gleitet über den Fußboden, näher, näher, auf ihr Bett zu. Sie hält den Atem an. Blitzschnell schaltet sie die Nachttischlampe an. Ein Kegel aus warmem Licht breitet sich aus.

Das Gleiten wird langsamer, verstummt. Sie blinzelt unter der Decke hervor. In ihrem Zimmer ist nichts – nichts, was nicht schon vorher da gewesen wäre. Und doch, sie wird das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt. Ihr Herz setzt aus.

Sie hat etwas übersehen.

Etwas Wichtiges.

Als sie fieberhaft überlegt, was es ist, was sie übersehen hat, hört sie es erneut. Das Gleiten. Nägel – Krallen – kratzen über Parkett. Sie rückt weg von der Bettkante so weit es nur geht, kauert sich unter die Decke. Eine leichte Brise kalter Luft umschmeichelt ihren Rücken, lässt sie zittern.

Ein Luftzug?

Das Fenster ist geschlossen. Dann fällt es ihr ein. Plötzlich und mit herzstoppender Klarheit wird ihr bewusst, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Das Schnarchen ihres Vaters. Sie hätte es nicht hören dürfen, nicht ein Zimmer weiter durch zwei geschlossene Türen. Aber sie hat es gehört. Denn was sie übersehen hat, war die Türe. Die Türe zu ihrem Zimmer steht offen. Sie hätte verschlossen sein müssen. Sie ist jeden Abend verschlossen. Nur heute nicht. Das Schnarchen ihres Vaters hat sie nicht beruhigt, weil ihr Körper sie hatte warnen wollen. Alles in ihr hat Gefahr geschrien und sie hat es nicht gehört.

Da ist es wieder. Das Gleiten. Es scheint näher als zuvor. Immer noch kann sie nichts sehen, bis auf das helle Licht ihrer Lampe. Wie oft hat sie bis an diesem Punkt versucht, sich einzureden, da wäre nichts, es wäre alles nur Einbildung.

Das Gleiten verstummt wieder. Der Schein ist trügerisch, sie traut der Stille nicht. Dann, plötzlich, eine Stimme. Die Stimme ihrer Mutter. "Schatz, dreh doch das Licht ab, es ist spät." Ihre Hand berührt den Lichtschalter, als ihr etwas bewusst wird. Es ist erneut das Schnarchen ihres Vaters, das sie zurückhält. Sie zieht die Hand zurück und lauscht bewusst auf Geräusche aus dem Nebenzimmer. Nichts ist zu hören, bis auf das regelmäßige Schnarchen. Ihr Puls rast. Die Stimme ersucht wieder, das Licht zu löschen, doch diesmal greift sie nicht einmal nach dem Schalter. Denn sie hat begriffen.

Die Stimme gehört nicht ihrer Mutter.

Was immer es ist, es kommt näher an ihr Bett, doch es berührt sie nicht. Das Licht umrahmt den Großteil der Matratze wie ein Kegel. "Komm Schätzchen, mach das Licht aus, wir wollen schlaaaaafen," sagt das Ding vor ihrem Bett. Diesmal ist sie darauf vorbereitet, achtet auf den Unterschied. Die Stimme klingt wie ein Echo, leer und hohl, so ähnlich und doch nicht gleich. Sie ist sicher, ihre Mutter liegt nebenan in ihrem Bett.

Das, was immer es sein mag, ist nicht ihre Mutter. "Schalt das Licht ab!" kreischt das Ding, alle Menschlichkeit aus der Stimme gewichen. Es scheint ungeduldig und sie kann nicht begreifen, warum es nicht näherkommt. Plötzlich wird es ihr klar. Das Licht. Das Licht ihrer Lampe ist ihr Schutz. Solange es brennt, kann ihr nichts geschehen. Das Ding umkreist ihr Bett, als wolle es einen Weg hineinfinden, ohne das Licht zu berühren. Sie wagt einen Blick. Was sie sieht, lässt sie erstarren. Das Bildnis ihrer Mutter. Klauen als Hände und Augen, erfüllt mit etwas, das sie nicht deuten will. Das Ding streckt die Arme nach ihr aus. "Komm zu mir, Kleine," sagt es fast zärtlich. Das Gesicht gleicht einer Fratze, der Mund ist mit scharfen Zähnen bestückt. Je länger sie das Ding ansieht, desto schrecklicher ist der Anblick. Es sieht aus, als wäre es tot. Sie presst eine zitternde Hand gegen ihren Mund, will nicht aufschreien. Sie liegt ruhig, atmet flach. Es gibt keinen Ausweg. Das Ding vor ihr kommt näher, bis es an den Lichtkegel stößt. Das Abbild ihrer Mutter, verzerrt und schrecklich entstellt, beginnt zu flackern und gibt den Blick frei auf die Kreatur darunter. Knochige Arme, fahle, ledrige Haut, hervorstehende tote Augen, zerrissene Kleidung. Sie kann nicht aufatmen. Das Ding streckt die Krallen aus, greift nach ihr. Sie will wegrutschen, doch sie weiß genau, der Lichtkegel reicht nicht so weit.

Das Ding lächelt sie an.

Das Lächeln ist kalt und grausam. Abwartend. Als wüsste es etwas, das sie nicht weiß. Als hätte sie einen Fehler gemacht. Bevor es ihr klar wird, ist es bereits zu spät. Eine Sekunde sieht sie die Krallen nach dem Kabel greifen, dann ist es dunkel. Blind fühlt sie den Atem an ihrem Hals. Eine Stimme flüstert in ihr Ohr.

"Licht aus!"