Der Kuss der Nereiden

Der stürmischen Liebe gewidmet

Othmar Auberger


Du kennst das Meer, die unendliche Weite, das grenzenlose Blau.

Du kennst das Meer, nicht von Menschenhand gemacht und auch bezähmbar kaum von ihr.

Du kennst das Meer, Du kennst das Wasser, das Segen ist dem Menschen und ängstigende Urgewalt zugleich.

Du liebst das Meer, Du stehst am Ufer knöcheltief im Nass, bestaunst die große Schöpfung.

Du liebst die Welle, die kleine, die regelmäßig sich erneut, aufbauend nach Land greift umspülend deinen Fuß.

Die Welle, die wie von fremder Hand gelenkt verjüngend dann verebbt, doch stetig wiederkehrt.

Ein lustig´ Spiel für die Nereiden, ein prickelnd´ Spiel für deine Haut.

Du kennst das Meer, Du kennst auch die Gefahren.

Weißt von der Sturmflut, durch Kraft des Windes aufgebauscht, gleich einer hohen Wand, kennst ihre Macht, die manches Leben schon zerstört; ist nicht bloß Spiel.

Du kennst das Meer, Du liebst das Wasser, Du sehnst dich nach der großen Flut, Du willst sie bannen.

Du wartest stehend sehend auf die große Woge.

Du wappnest Dich, jedweden Stoff, der wasserunverträglich, hast Du schon abgelegt, fast ungeschützt, und dennoch trotzig stemmst du dich nach vor.

Du liebst das Meer, Du kennst die Kraft, Du siehst die Wand von weitem, und trotzdem ist ihr Aufprall plötzlich da.

Die Sturmflut bricht herein, Du rechnest mit der Wucht, allein Du widerstehst ihr nicht.

Sie wirft zurück den aufrecht Stehenden, sie hebt Dich auf und reißt Dich fort!

Hoch türmen sich die Wellen über Dir, wie ein Kuss der Nereiden umspülen die perlenden Fluten den Leib.

Du bist ein Spielball fremder Kraft, kein Schwimmer oder Taucher, bist eines Wirbels Sog, Poseidons Dreizack hält Dich fest gefasst.

Meterweit landwärts wirst Du getragen, gespült, und dann – vom Dreizack befreit.

Die Elemente kehren zurück an den vorigen Ort, Wasser macht Luft wieder Platz.

Du liegst am Grund, rückflutende Wogen schwemmen den Sand unter Dir fort.

Benommen erst, allmählich dann bewusst, holst Du tief Atem, bestaunst den Himmel, bestaunst das Erlebte und genießt den wieder gewonnenen Boden, den festen.

Du wähnst Dich als Liebling der Götter, der Wunder zweie fühlst Du an Dir:

Die unbändige Kraft der Flut, die Dich mitreißt als ohnmächtig Getriebener.

Und die Unsterblichkeit, mit der du den Sturm überstehst.

Du glaubtest, du kennst das Meer?

Tja, das weite Meer, es ist unbändig, unergründlich und unendlich – so wie die Liebe.


Archiv

Vor dem Kaffee (Astrid Holzmann-Koppeter)

Licht aus! (Jasmin Fürbach)

Lyrik zum Muttertag (Sabrina Baierl)

Zwei Schatten (Astrid Holzmann-Koppeter)